Nach Hertha BSC legte Sandro Wagner die steilste Karriere hin (2024)

Sandro Wagner, den großgewachsenen, athletischen Typen mit dem Schnauzer wird man in den kommenden Tagen – hoffentlich bis weit in den Juli hinein – in zentraler Position erleben können. Nicht wie einst als Mittelstürmer, sondern als Co-Trainer und rechte Hand von Bundestrainer Julian Nagelsmann bei der deutschen Nationalmannschaft. Der 36-Jährige gehört wohl zu denjenigen Protagonisten im deutschen Fußball, die zuletzt die steilste Karriere hingelegt haben – vom Profi über den TV-Experten bis zum Trainer der Elite. Als ehemaliger Spieler weist Wagners Vita stattliche neun Stationen in Liga eins und zwei und in China auf. Die meisten Spiele absolvierte er – Achtung – bei Hertha BSC.

Es war im Juli 2012, als sich Herthas damaliger Manager Michael Preetz anstellte, einen neuen Rekord auf dem Transfermarkt aufzustellen. Es ging in diesem Fall nicht um die Höhe der Ablösesummen, aber um die Schnelligkeit und den aufregenden Takt bei der Verpflichtung von neuen Profis. Im Abstand von wenigen Minuten wurden die Käufe von drei Zugängen verkündet: Sami Allagui (für 1,6 Millionen Euro Ablöse von Mainz 05), Ben Sahar (ablösefrei von Espanyol Barcelona) und schließlich Sandro Wagner (für 250.000 Euro Ablöse von Werder Bremen). Das ganze Prozedere passierte binnen einer Stunde! Mithilfe der drei neuen Offensivkräfte sollte der ebenfalls neue Cheftrainer Jos Luhukay den sofortigen Wiederaufstieg in die Erste Liga schaffen, nachdem Hertha zuvor nach der unsäglichen Relegation gegen Fortuna Düsseldorf den bitteren Gang in Liga zwei antreten musste.

Sandro Wagner stieg mit Hertha BSC einst in die Bundesliga auf

Sandro Wagner, mit 1,94 Meter Körpergröße ein Kerl wie ein Baum, erlebte fortan mit Hertha einen souveränen Durchmarsch zurück ins Oberhaus, kam in 31 Spielen zum Einsatz und erzielte fünf Treffer.

Bekannt geworden war der selbstbewusste Angreifer durch seinen Auftritt bei der U21-Europameisterschaft 2009 in Schweden. Unter Trainer Horst Hrubesch drückte er zuerst die Reservebank, kam zu zwei Kurzeinsätzen. Seine große Stunde schlug erst im Finale gegen England, wo er in der Startelf stand und die Treffer zum 3:0 und 4:0 erzielte. Mit Wagner im Team standen die späteren Weltmeister Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira, Benedikt Höwedes und Mesut Özil.

Wagners Karriere verlief nicht so geradlinig nach oben wie die von Neuer & Co. und sollte erst viel später noch einmal richtig Fahrt aufnehmen. Die Station Hertha BSC aber war dafür nicht unbedingt geeignet und endete unschön für den Stürmer. In seinem zweiten Jahr in Berlin kam er im Oberhaus zu 25 Einsätzen und zwei Toren, in der Spielzeit 2014/15, in der Pal Dardai den Holländer Jos Luhukay im Februar abgelöst hatte, reduzierten sich seine Einsätze auf lediglich 15 Einwechslungen (0 Tore).

Als Joker sah sich Wagner bei Hertha BSC am falschen Platz

Das Problem: In Berlin sah man ihn vor allem als Edel-Joker, eine Rolle, die Wagner nicht lag, was man nachvollziehen kann („In zehn Minuten Einsatzzeit komme ich einfach nicht in ein Spiel rein“). Im Sommer 2015 hatte Hertha keine Verwendung mehr für Wagner. Das gleiche Schicksal traf den ehemaligen Kapitän Peter Niemeyer. Beide durften im Sommer nicht mit ins Trainingslager nach Schladming reisen und mussten zu Hause auf dem Schenckendorffplatz im Einzeltraining aufs leere Tor schießen. Eine seltsame Maßnahme, die kritikwürdig war. Niemeyer erinnert sich: „Ich gab die Vorlagen und Sandro schoss ins leere Tor! Beide wechselten wir später zu Darmstadt 98 und hatten dort eine schöne und erfolgreiche Zeit.“

Niemeyer, der zuletzt als Geschäftsführer Sport den Aufstieg von Preußen Münster in die Zweite Liga feiern konnte, aber ab Juli der neue Leiter Profifußball bei Werder Bremen wird, sagte dem KURIER-Reporter: „Sandro Wagner ist derjenige Profi, mit dem ich in meiner Laufbahn die meisten Spiele zusammen auf dem Platz gestanden habe – in Bremen, bei Hertha und in Darmstadt. Er ist ein ganz feiner Kerl, ein toller Typ, der mit seinen frechen Sprüchen auch angeeckt ist.“

Nach Hertha BSC schaffte Wagner den Sprung zurück zu seinem Jugendverein FC Bayern München

Als sich Wagners Karriere später in Hoffenheim dem Ende zuneigte, schaffte er es tatsächlich dorthin zurück, wo alles einst in der Jugendabteilung begann: zum FC Bayern München. Er agierte als Backup für Robert Lewandowski, setzte aber auch viele eigene Akzente. Nicht nur das. Unter Bundestrainer Joachim Löw kam Wagner 2017 und 2018 sogar zu acht Länderspielen, in denen er fünf Tore schoss! Es folgten erste Trainer-Stationen im Nachwuchsbereich des DFB und als Chefcoach bei der SpVgg Unterhaching, die er in die Dritte Liga brachte. Nebenbei arbeitete er als TV-Experte für das ZDF und Dazn, polarisierte und machte sich mit seinen Analysen und Aussagen einen guten Namen.

Nun aber ist er seit September 2023 ganz nah dran am großen Fußball. Julian Nagelsmann, der einst in Hoffenheim Wagners Trainer war, holte ihn als seinen Assistenten zur Nationalmannschaft. Mit seiner direkten und auch unbekümmerten Art kommt er gut an und ist beliebt bei den Spielern. Noch vor der EM haben Wagner und die anderen Assistenten ihre Verträge beim DFB – genau wie Nagelsmann – bis 2026 verlängert. Dann steigt die WM in den USA, Kanada und Mexiko.■